Erstmals gibt es an der Universität St.Gallen einen Raum, der nach einer Frau benannt ist: Neben Vadian und Gallus kam Wiborada zu den Raumnamen des HSG SQUAREs dazu. Über 40 Studierende und Alumni, Professor:innen und Interessierte am Wiboradaprojekt feierten am 21. Mai die offizielle Eröffnung des Raumes.

Der Wiborada-Raum befindet sich im Untergeschoss des SQUAREs. Ohne Fenster und mit einer schalldichten Tür ausgestattet, steht er im Gegensatz zur restlichen Architektur des SQUARE mit maximaler Transparenz, grossen Fenstern und lichtdurchfluteten Räumen.

Tim Kramer, Intendant des HSG Square, erzählte in seiner Ansprache bei der Eröffnung, wie er den Raum zunächst als Gerümpelkammer erlebte. «Doch in der Mitte des Raumes standen ein Tisch und ein Stuhl. Ein studentischer Mitarbeiter hatte herausgefunden, dass er sich hier am besten konzentrieren und für die Prüfungen lernen konnte», schmunzelte Kramer.

Auf den ersten Blick unscheinbar, ermöglicht der Raum Rückzug und Ruhe: «Denn zu einer umfassenden Persönlichkeitsbildung, zu welcher der SQUARE beitragen möchte, braucht es auch die Innenschau», sagte Kramer.
Nun ist es offiziell: An der HSG ist ein Raum nach Wiborada von St.Gallen benannt. Foto: Quirine Cobben
Hildegard Aepli betont vor über 40 Gästen die Bedeutung von Wiborada für die Stadt St.Gallen. Foto: Quirine Cobben
Tim Kramer (re) bedankte sich bei den Studierenden für ihre Initiative. Foto: Quirine Cobben
Der Wiborada-Raum mit Kinobestuhlung ist ideal für intime Diskussionen, Lesungen oder kleine Theaterstücke. Als «Fenster zur Welt» fungiert eine grosse Kinoleinwand im Raum. Gemeinsam mit dem ganzen SQUARE soll er Studierende, Alumni und die St.Galler Bevölkerung vernetzen – abseits von strengen Curricula und Prüfungen.

Auf Initiative von Studierenden

Dass der Raum nach Wiborada von St.Gallen benannt wurde, ist der Beharrlichkeit einiger Studierender zu verdanken. Die Idee zu einem Wiborada-Raum zusätzlich zu Gallus und Vadian war schon vor zwei Jahren im Nachklang an die sogenannten Wiborada-Dialogtage aufgekommen. Doch erst als HSG-Studentin Lea Vannini mit zwei Mitstudierenden bei einem Projekt über Stille auf Wiborada von St.Gallen stiess, fiel auf, dass kein einziger Raum an der Universität St.Gallen nach einer Frau benannt war. Gemeinsam mit Aline Zengaffinen trieb sie die Umbenennung voran. «Als SQUARE leben wir von Initiativen wie eurer. Dafür danke ich euch herzlich», sagte Tim Kramer zu ihnen.

«Mann (!) hörte auf Wiborada»

Die Initiantin des Wiborada-Projektes, Hildegard Aepli, hob in ihrem Redebeitrag die Bedeutung der frühmittelalterlichen «Heiligen und Heldin Wiborada» hervor: «Das Erstaunliche ist: Mann (!) hat auf sie gehört. Was sie sagte, hatte in der Stadt St.Gallen Gewicht. Ohne ihre Warnung vor dem Einfall der Ungarn wäre der kostbare Klosterschatz im Jahr 926 vernichtet worden – und St.Gallen heute wohl kein Weltkulturerbe», sagte Aepli.

Den Studierenden sei aufgefallen, wie sehr das Vergessen von Frauengeschichten auch die Stadt St.Gallen prägt und sie hätten nicht locker gelassen, bis nun ein Raum nach Wiborada von St.Gallen benannt wurde: «Der Weg, die Nachwirkungen des Patriarchats aufzuweichen ist lang und beschwerlich. Der Weg, den Beitrag von Frauen in der Geschichte in ihrer Kraft und Ausstrahlung mehr und mehr bewusst zu machen ist nach wie vor zäh und steinig», so Aepli.
HSG-Student und Barkeeper Roman Mutzner hatte eigens für die Eröffnung einen Wiborada-Drink entwickelt. Foto: Quirine Cobben
​Wiborada-Drinks: «Scream» und «Whisper» of Silence

Beim anschliessenden Apéro war Gelegenheit, vertieft über Wiborada von St.Gallen ins Gespräch zu kommen. HSG-Absolvent und Barkeeper Roman Munzer hatte eigens für die Eröffnung einen Wiborada-Drink kreiert, der bei den rund 40 Gästen für Begeisterung sorgte. «Scream of Silence» enthielt neben Gin und rotem Wermut auch Kiefernadeln-Aroma, Waldbeerenmix und Soda. Das alkoholfreie Pendant hiess «Whispers of Silence».

Wiborada von St.Gallen: Inklusin und Ratgeberin
Wiborada ist neben Gallus und Otmar die dritte St.Galler Stadtheilige, fristet aber in St.Gallen bis heute ein Schattendasein. Die unerschrockene Frau liess sich 916 in eine Zelle bei der Kirche  St.Mangen als sogenannte Inklusin einschliessen. Beim gewaltsamen Einfall der Ungarn bezahlte sie 926 mit ihrem Leben dafür. In ihrer Zelle stand ein Fenster stets offen für jene, die Rat und Hilfe  suchten. Die beiden Viten über Wiborada erzählen, dass sich Äbte, Fürsten, Adlige, Mönche und  Menschen der Stadt an ihrem Fenster beraten liessen.

Das Wiborada-Projekt
Wiborada von St.Gallen ist eine der drei St.Galler Stadtheiligen. Mit dem Projekt Wiborada2021-2026 möchte ein Team der evangelisch-reformierten und römisch-katholischen Kirche ihr den Platz in der Geschichte einräumen, der ihr gebührt. Jedes Frühjahr lassen sich fünf Personen für je eine Woche in der nachgebauten Wiborada-Zelle bei St.Mangen einschliessen, um der mittelalterlichen Heiligen nachzuspüren. Ihr Fenster zur Stadt öffnen sie täglich von 12.30-13.30 Uhr und von 17.30-18.30 Uhr und stehen für Gespräche zur Verfügung. Interessierte können jeweils freitags um 18.30 Uhr den Wechsel der eingeschlossenen Personen miterleben.
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